Aufgrund der aktuell desaströsen Lage im deutschen Gesundheitswesen, besonders in der Pflege, regt sich in Nordrhein-Westfalen (NRW) seit einigen Monaten verstärkt Widerstand.
Seit langem beklagt die Pflegebranche einen starken Fachkräftemangel, der sich durch die Corona-Pandemie deutlich dramatisiert hat. Seit Jahren machen Pflegende, Berufsverbände und Gewerkschaften auf die Ausbeutung der Angestellten und Auszubildenden in Krankenhäusern, die unzureichende Bezahlung, die fehlenden Pflegefachkräfte und die dadurch mangelhafte Versorgung der PatientInnen aufmerksam. Wir Pflegenden warten jedoch weiterhin vergeblich auf deutliche Signale seitens der Politik, dass diese Missstände angegangen werden.
Unser Berufsstand braucht seine angebrachte Anerkennung, Bezahlung und Wertschätzung. Die Angestellten der Universitätskliniken in Köln, Bonn, Düsseldorf, Essen, Aachen und Münster haben sich daher im Januar diesen Jahres entschlossen der Politik ein Ultimatum zu stellen, um die Notlage in der Pflegebranche zu beseitigen. Innerhalb dieses Ultimatums sollte ein Tarifvertrag abgeschlossen werden, der die aktuelle Lage entschärft. Die Beschäftigten der sechs Unikliniken haben sich zu der Bewegung “Notruf Entlastung NRW” zusammengetan. Auf der Website der Bewegung heißt es: “Die Beschäftigten der sechs Unikliniken in NRW fordern umgehend eine tarifliche Lösung mittels eines Tarifvertrages, der zu ihrer Entlastung führt. Bis zum 1. Mai 2022 erwarten sie den Abschluss eines entsprechenden Tarifvertrags. Dieser soll Mindestpersonalausstattungen für alle Bereiche der Unikliniken festlegen und angemessene Belastungsausgleiche bei Unterbesetzung vorsehen.
Neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen geht es auch um die Qualität der Ausbildung. Weil ein solcher Tarifvertrag bisher nicht zustande gekommen, und das Ultimatum ergebnislos verstrichen ist, haben sich die Angestellten am 2. Mai entschieden in einen Erzwingungsstreik zu treten. Mittlerweile hat sich der NRW Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) und die dortige Landesregierung zu einem Tarifvertrag bereit erklärt, vorliegen tut dieser allerdings noch nicht. Die Angestellten streiken deshalb weiter, um den Tarifvertrag zügig zu erzwingen.
Der Bochumer Bund begrüßt deshalb die Streiks an den 6 Unikliniken in NRW zum Erreichen eines TV‑E (Tarifvertrag Entlastung). Ein Instrument zur Entlastung der Pflegekräfte ist seit langem überfällig und notwendig. Allerdings ist dies nicht nur in den Unikliniken, sondern in allen Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen der Fall. Der Pflexit und die chronische personelle Unterversorgung sind in den Pflegeberufen nicht dadurch zu beenden, dass Arbeitskampfmaßnahmen im Alleingang umgesetzt werden. Mit einer solchen Vorgehensweise werden wir der gemeinsamen Sache aller Pflegenden nicht gerecht. Wir alle hoffen auf eine Signalwirkung dieses Streiks. Diese ist jedoch nicht abzusehen. Zu befürchten ist vielmehr, dass kleinere Kliniken und Heime nicht nachziehen, sondern sich der Pflexit dort noch verstärkt, weil Angestellte in besser zahlende Kliniken abwandern.
Mit solch einer Gewerkschaftspolitik ist niemandem geholfen. Der nun von der Landesregierung vorgeschlagene Lösungsweg besteht darin, das NRW-Hochschulgesetz dahingehend zu ändern, dass die NRW Unikliniken aus dem „Arbeitgeberverband des Landes Nordrhein-Westfalen“ austreten können. Nach einem Austritt wäre man nicht mehr an die Tarifgemeinschaft gebunden und die einzelnen Einrichtungen könnten direkt mit ver.di verhandeln. Dies wurde ihnen bisher von der „Tarifgemeinschaft deutscher Länder“ untersagt. Es ist zu erwarten, dass ein Tarifvertrag, der ausschließlich für die MitarbeiterInnen der Unikliniken ausgehandelt wird, der Einheit der ArbeitnehmerInnen in der Pflege entgegenwirkt.
Der BochumerBund spricht sich deshalb für flächendeckende Tarifverträge im Gesundheitswesen aus, um eine adäquate Versorgung der PatientInnen überall, und eine angemessene Behandlung und Bezahlung der Pflegekräfte in jeder Einrichtung sicherzustellen. Wir halten es für wichtig, auf Landes- sowie Bundesebene mehr Druck auf die politisch Verantwortlichen auszuüben. Für dieses Ziel sehen wir den Streik als legitimes und sinnvolles Mittel. Die Wirksamkeit der Streiks ist momentan in NRW gut erkennbar und der ausgeübte Druck auf die Politik angemessen.
Zu lange haben wir uns mit leeren Worthülsen und nicht umgesetzten Versprechungen zufrieden gegeben. Es ist Zeit, die im Koalitionsvertrag versprochenen Entlastung der Pflege durch die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PPUGV 2.0) flächendeckend umzusetzen. Es ist Zeit für eine angemessene Bezahlung der Pflegenden.
Es ist Zeit, die Ausbildung qualitativ gut zu gestalten und den Auszubildenden ein Auskommen ohne Unterstützung der Eltern während dieser Zeit zu ermöglichen. Ohne solche Maßnahmen kann eine angemessene Versorgung der PatientInnen nicht sichergestellt werden.
Es zeigt sich, dass wir dazu in den Streik treten müssen. Das müssen wir gemeinsam tun, um uns nicht spalten zu lassen.
Wir Pflegenden sind dann stark, wenn wir gemeinsam agieren.
Niklas Kemper, Guido Raunest und Ingo Schaffenberg
Der Text ist auch hier erschienen: https://www.rechtsdepesche.de/streiks-an-unikliniken-nrw/